Madagaskar: interethnischer Rassismus

INTERETHNISCHER RASSISMUS IN TAMATAVE

Die junge Studentin Françoise kennen wir seit vielen Jahren. Sie studiert an der Universität in Tamatave / Toamasina und zwar sehr erfolgreich. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf an der Küste des Indischen Ozeans. Wir von der PRIORI unterstützen sie, indem wir ihre Texte bezahlen.


INTERETHNISCHER RASSISMUS IN TAMATAVE

(09. Juni 2020) Jeder glaubt, dass die Welt wirklich entwickelt ist und niemand sieht, was vor seinen Augen geschieht, oder vielleicht schliessen die Menschen ihre Augen, um die Realität nicht zu sehen. Rassismus ist eines der Dinge, die die Entwicklung einer Nation oder eines Landes hemmt, doch Rassismus existiert überall auf der Welt. In Madagaskar sehen wir nicht viel Rassismus aufgrund der Hautfarbe, sondern vor allem wegen ethnischer Segregation. Die genaue Situation in den anderen Provinzen kenne ich nicht, ich spreche vom Rassismus in Tamatave.

Wie in den anderen Provinzen finden wir in Tamatave fast alle achtzehn ethnischen Gruppen, sei es weil sie hier arbeiten oder einfach weil sie sich hier niedergelassen haben; und jede ethnische Gruppe lebt im gleichen Quartier, weil sie sich als Familie betrachtet, auch wenn sich nicht alle kennen, aber die Hauptsache ist ihre Zusammengehörigkeit, sie ist notwendig, solange sie “Ausländer“ an einem Ort sind. So zeigt sich überall in Tamatave eine gewisse Feindseligkeit gegenüber anderen ethnischen Gruppen, sei es auf der Ebene der Gesellschaft, in der Schule oder bei der Arbeit… sie nimmt auch die Form von Fremdenfeindlichkeit an.

INTERETHNISCHER RASSISMUS IN TAMATAVE
Ich beschreibe ein konkretes Beispiel einer Ethnie, die in Tamatave lebt, die „Antandroy“ (eine Ethnie, die aus dem Süden Madagaskars stammt), und diese Ethnie ist hier die am stärksten diskriminierte von allen, nur wenige Menschen sprechen mit ihnen. Man sagt, sie seien sehr böse, weil sie mit einem Messer in der Tasche herumlaufen, ihre Sprache sei unverständlich und sie seien seltsam, weil ihre Kultur sich sehr von denen der anderen unterscheidet. Aus diesem Grund werden die Menschen der Antandroy in der Gesellschaft abgesondert, wenn ihnen etwas passiert ist, sei es gut oder schlecht, kommen die anderen nicht auf sie zu, und niemand wagt es, in ihre Nachbarschaft einzudringen, ich glaube, sie sind von allen anderen isoliert. Doch diese Art von Haltung ist eigentlich völlig gegen die übliche madagassische Sitte. Die Antandroy können sich auch nicht mit Mitgliedern anderer ethnischen Gruppen verheiraten, die Eltern würden das nie akzeptieren, selbst wenn ihre Kinder sich sehr geliebt haben, denn da sie wissen, dass sie von der Gesellschaft diskriminiert werden, akzeptieren die Antandroy niemals die Vereinigung ihrer Kinder mit anderen sozialen Gruppen.

Die Antandroy kommen nach Tamatave, um Arbeit als Rikschafahrer oder Obstverkäufer oder etwas anderes zu finden. Wenn sie eine andere Arbeit suchen, stellt sie kaum jemand an. Aber selbst als Rikschafahrer haben sie es schwer, denn die Leute wollen nicht von einem Antandroy gezogen werden. Sie sagen dann, die Fahrt sei zu teuer und man könne nicht mit ihnen verhandeln. Darum sind viele von ihnen zu Dieben und Einbrechern geworden, weil sie arbeitslos sind; je mehr man sie diskriminiert, desto mehr fühlen sie sich anders, und selbst wenn sie weit von dem entfernt sind, was man denkt, aber sie wissen um die schlechten Gedanken der anderen. So müssen sie ja wütend werden, wenn sie all die schlechten Dinge hören, die die Menschen über sie denken?

INTERETHNISCHER RASSISMUS IN TAMATAVE
Doch diese ethnische Gruppe vereint sich sehr stark untereinander, sie helfen sich gegenseitig, wir sehen die Stärken und Freundschaften zwischen ihnen bei Veranstaltungen wie Feiern oder Trauer.

Aber ich glaube, Rassismus ist heutzutage nicht mehr in Mode. Diese Haltung gilt nur für Menschen, die noch im Dunkeln tappen oder für unwissende Menschen, die sich nicht entwickeln wollen. Entwicklung liegt in der Vereinigung der Menschen, denn je mehr wir uns vereinigen, desto mehr entwickeln wir uns und unser Land.

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